Von Tanja A. Wilken
Rote oder weiße Schnürsenkel. Mehr brauchte es nicht. Zeig mir deine Doc Martens und ich weiß, ob ich einen Gleichgesinnten oder einen Feind vor mir habe. Mit vierzehn, fünfzehn konnte das Leben in mancherlei Hinsicht noch recht einfach sein. Politische Neigung, rechte oder linke Gesinnung, schlicht demonstriert werden.
Warum sich wer für welche Haltung entschied? Ehrlich gesagt, keine Ahnung. Tatsächliche Vernunftgründe waren es wohl kaum. Für mich persönlich war es wohl eine Art „mentaler Querulanz“, die sich bei Hasstiraden gegen Andere automatisch einstellte. Warum sollte bei der Vielfalt an Kulturen und Religionen, bei der Vielzahl an Lebensentwürfen, Hautfarben und Ideen, ausgerechnet die eigene Art und Weise die allein Richtige sein? Wer, bitte schön, kann sich aussuchen, in welchem Land er geboren werden will? Wer kann seine Herkunft bestimmen? Klare Antwort: Niemand. Also, wie lässt sich aus dieser simplen und doch bestechenden Tatsache der Anspruch formulieren, etwas Besseres aufgrund seiner Wurzeln zu sein? Und wie leitet man im Umkehrschluss daraus ab, dass jeder, der nicht diesem, unserem Zugriff entzogenen Umstand entspricht, minderwertig ist? Die Logik, nach der der weiße, latent – aber nicht übermäßig nachdrücklich! – religiöse, heterosexuelle, Schnaps und Bier in Maßen – aber nicht andere Drogen! – konsumierende Deutsche das Maß der Menschheit sein sollte, wollte und konnte sich mir schlicht nicht erschließen.
Im Ostfriesland meiner Kindheit und Jugend gab es weder „Kinderfänger“, die auf dem Schulhof CDs mit rechtspopulistischer Rockmusik verteilten, noch Türkenbanden oder Zusammenrottungen anderer „fremder“ Gruppierungen, die einen mit dem Messer bedrohten. Die, die im Klassenraum die braven Kinder vom Lernen abhielten, entstammten überwiegend dem eigenen Kulturkreis. Angst, den gemeinsamen Bus für den morgendlichen Schulweg zu benutzen, hatte ich wegen dem bösen Migranten keine. Es gab aber genug Mitschüler, die das anders empfanden. Ob aus tatsächlichen Konfrontationen oder jenen Klischeebildern, die am heimatlichen Abendbrottisch gepflegt und kultiviert wurden – Ressentiments, Fremdenangst, der Hauch von Rassismus, geisterte in nicht wenigen heranwachsenden Köpfen.
Irgendwann in der Pubertät galt es schließlich für manche von uns Farbe zu bekennen. Siehe die Schnürsenkel. Dabei interessierte Politik tatsächlich wenig. Die etablierten Parteien schon einmal gar nicht. Eher führten Abenteuerlust und Auflehnung, gepaart mit jugendlicher Naivität, das Heft in der Hand.
Deutlich wurde dies im Hang zum Extremen – so muss ich gestehen, dass die Taten der RAF eine gewisse Faszination auf uns ausübten. Mit dem Becks in der Hand wurden einige Abende mit lebhaften Diskussionen und einer kindischen Dummheit damit verbracht, Baader und Co. zu glorifizieren. Rückblickend betrachtet war es vor allem die Einstellung – das Hingeben an den Glauben an die eigene Sache, das Mobilmachen gegen den Staat der ehemaligen Täter, die Ignoranz aller Konsequenzen – was Eindruck auf uns machte. Es sei uns verziehen. Sofern wir den Worten nicht Taten folgen ließen und nachdem ein paar Jahre und Lebenserfahrungen unseren Horizont vergrößerten und wir uns unserer Stupidität entledigten. Man kann auch der Faszination entwachsen. Reifer werden. Weniger anfällig. Wehe denen, die nicht das Glück hatten.
Interessant ist in dieser Hinsicht, dass sich die Farben der Schnürsenkel zwar unterscheiden, die Wurzel, aus denen die Faszination für das Extreme gefüttert wird, aber weniger als uns womöglich lieb ist. Ob nun „links“ oder „rechts“, die Denkschablonen werden gespeist von derselben Zukunftsangst, vom selben mangelnden Selbstbewusstsein, vom selben Wunsch nach Schwarz-Weiß. Ja, obwohl wir rebellisch und anders sein wollten, im Grunde ging es doch nur um die Suche nach Gewissheit. Wissen wollen, wohin man gehört. Wer zu einem gehört. Plakativ gesagt, den Kampf zwischen Gut und Böse – nur eben, dass Helden und Bösewichter unterschiedlich definiert werden. Das Extreme bietet den Reiz, überzeugt sein zu können, wenn doch so wenig um einen herum sicher ist. Gewissheit ist Sicherheit, wenn Zukunft, Werte, Traditionen, Glaube auf tönernen Füßen stehen.
Und auch, was rechte Gesinnungen oder zumindest Sympathien betrifft, ist Friesland, jener Landstrich, der von Werbung und Tourismusindustrie als „kein schöner Land“ gepriesen wird, in dieser Hinsicht vergleichbar mit anderen „Problemgebieten“. Gerade im ländlichen Raum, also dort, wo es weniger multikulturelle Berührungspunkte gibt, wachsen Ressentiments besonders gut. Politisches Treibhausklima, sozusagen. Schon in meiner Jugend wurden einzelne Städte nach „rechts“ und „links“ eingeordnet und der einzige bekennende Skinhead meines Dorfes – gänzlich unbeeindruckt von unseren Einwänden, dass weder die Sony-Kopfhörer in seinen Ohren noch die Levisjeans um seine Hüften deutsche Markenprodukte seien – verkündete in überdeutlicher Lautstärke, dass er ein großdeutsches Reich wünsche. Und die Eingeborenen fanden mitunter auch wenig dabei, in feucht-fröhlichen Runden das Horst-Wessel-Lied anzustimmen – sofern man des Textes mächtig war.
Kriminalitätsstatistiken belegen Propagandadelikte, Volksverhetzung und Körperverletzungen, die rechtsextremistisch motiviert sind. Es gibt NPD-Ortsvereine und die in jüngster Zeit sich immer mehr Popularität erfreuenden Autonomen Nationalisten, eine „freie“ Nazi-Szene, die in ihrer auf Jugendkultur abzielenden Aufmachung besonders perfide ist. Verglichen mit Großstädten oder dichter besiedelten Orten sind die Zahlen sehr gering, oft im einstelligen Bereich (vorausgesetzt, die Statistiken geben tatsächlich jedes Vergehen wider). Reflexartig wird von den zuständigen Behörden die Situation beschwichtigend dargestellt. Immerhin tummelt sich kein brauner Mob, der Ausländer durch die Straßen jagt. Dennoch: Die Gefahr ist da, die Verführung präsent.
Rote oder weiße Schnürsenkel. Mehr brauchte es nicht. Zeig mir deine Doc Martens und ich weiß, ob ich einen Gleichgesinnten oder einen Feind vor mir habe. Mit vierzehn, fünfzehn konnte das Leben in mancherlei Hinsicht noch recht einfach sein. Politische Neigung, rechte oder linke Gesinnung, schlicht demonstriert werden.
Warum sich wer für welche Haltung entschied? Ehrlich gesagt, keine Ahnung. Tatsächliche Vernunftgründe waren es wohl kaum. Für mich persönlich war es wohl eine Art „mentaler Querulanz“, die sich bei Hasstiraden gegen Andere automatisch einstellte. Warum sollte bei der Vielfalt an Kulturen und Religionen, bei der Vielzahl an Lebensentwürfen, Hautfarben und Ideen, ausgerechnet die eigene Art und Weise die allein Richtige sein? Wer, bitte schön, kann sich aussuchen, in welchem Land er geboren werden will? Wer kann seine Herkunft bestimmen? Klare Antwort: Niemand. Also, wie lässt sich aus dieser simplen und doch bestechenden Tatsache der Anspruch formulieren, etwas Besseres aufgrund seiner Wurzeln zu sein? Und wie leitet man im Umkehrschluss daraus ab, dass jeder, der nicht diesem, unserem Zugriff entzogenen Umstand entspricht, minderwertig ist? Die Logik, nach der der weiße, latent – aber nicht übermäßig nachdrücklich! – religiöse, heterosexuelle, Schnaps und Bier in Maßen – aber nicht andere Drogen! – konsumierende Deutsche das Maß der Menschheit sein sollte, wollte und konnte sich mir schlicht nicht erschließen.
Im Ostfriesland meiner Kindheit und Jugend gab es weder „Kinderfänger“, die auf dem Schulhof CDs mit rechtspopulistischer Rockmusik verteilten, noch Türkenbanden oder Zusammenrottungen anderer „fremder“ Gruppierungen, die einen mit dem Messer bedrohten. Die, die im Klassenraum die braven Kinder vom Lernen abhielten, entstammten überwiegend dem eigenen Kulturkreis. Angst, den gemeinsamen Bus für den morgendlichen Schulweg zu benutzen, hatte ich wegen dem bösen Migranten keine. Es gab aber genug Mitschüler, die das anders empfanden. Ob aus tatsächlichen Konfrontationen oder jenen Klischeebildern, die am heimatlichen Abendbrottisch gepflegt und kultiviert wurden – Ressentiments, Fremdenangst, der Hauch von Rassismus, geisterte in nicht wenigen heranwachsenden Köpfen.
Irgendwann in der Pubertät galt es schließlich für manche von uns Farbe zu bekennen. Siehe die Schnürsenkel. Dabei interessierte Politik tatsächlich wenig. Die etablierten Parteien schon einmal gar nicht. Eher führten Abenteuerlust und Auflehnung, gepaart mit jugendlicher Naivität, das Heft in der Hand.
Deutlich wurde dies im Hang zum Extremen – so muss ich gestehen, dass die Taten der RAF eine gewisse Faszination auf uns ausübten. Mit dem Becks in der Hand wurden einige Abende mit lebhaften Diskussionen und einer kindischen Dummheit damit verbracht, Baader und Co. zu glorifizieren. Rückblickend betrachtet war es vor allem die Einstellung – das Hingeben an den Glauben an die eigene Sache, das Mobilmachen gegen den Staat der ehemaligen Täter, die Ignoranz aller Konsequenzen – was Eindruck auf uns machte. Es sei uns verziehen. Sofern wir den Worten nicht Taten folgen ließen und nachdem ein paar Jahre und Lebenserfahrungen unseren Horizont vergrößerten und wir uns unserer Stupidität entledigten. Man kann auch der Faszination entwachsen. Reifer werden. Weniger anfällig. Wehe denen, die nicht das Glück hatten.
Interessant ist in dieser Hinsicht, dass sich die Farben der Schnürsenkel zwar unterscheiden, die Wurzel, aus denen die Faszination für das Extreme gefüttert wird, aber weniger als uns womöglich lieb ist. Ob nun „links“ oder „rechts“, die Denkschablonen werden gespeist von derselben Zukunftsangst, vom selben mangelnden Selbstbewusstsein, vom selben Wunsch nach Schwarz-Weiß. Ja, obwohl wir rebellisch und anders sein wollten, im Grunde ging es doch nur um die Suche nach Gewissheit. Wissen wollen, wohin man gehört. Wer zu einem gehört. Plakativ gesagt, den Kampf zwischen Gut und Böse – nur eben, dass Helden und Bösewichter unterschiedlich definiert werden. Das Extreme bietet den Reiz, überzeugt sein zu können, wenn doch so wenig um einen herum sicher ist. Gewissheit ist Sicherheit, wenn Zukunft, Werte, Traditionen, Glaube auf tönernen Füßen stehen.
Und auch, was rechte Gesinnungen oder zumindest Sympathien betrifft, ist Friesland, jener Landstrich, der von Werbung und Tourismusindustrie als „kein schöner Land“ gepriesen wird, in dieser Hinsicht vergleichbar mit anderen „Problemgebieten“. Gerade im ländlichen Raum, also dort, wo es weniger multikulturelle Berührungspunkte gibt, wachsen Ressentiments besonders gut. Politisches Treibhausklima, sozusagen. Schon in meiner Jugend wurden einzelne Städte nach „rechts“ und „links“ eingeordnet und der einzige bekennende Skinhead meines Dorfes – gänzlich unbeeindruckt von unseren Einwänden, dass weder die Sony-Kopfhörer in seinen Ohren noch die Levisjeans um seine Hüften deutsche Markenprodukte seien – verkündete in überdeutlicher Lautstärke, dass er ein großdeutsches Reich wünsche. Und die Eingeborenen fanden mitunter auch wenig dabei, in feucht-fröhlichen Runden das Horst-Wessel-Lied anzustimmen – sofern man des Textes mächtig war.
Kriminalitätsstatistiken belegen Propagandadelikte, Volksverhetzung und Körperverletzungen, die rechtsextremistisch motiviert sind. Es gibt NPD-Ortsvereine und die in jüngster Zeit sich immer mehr Popularität erfreuenden Autonomen Nationalisten, eine „freie“ Nazi-Szene, die in ihrer auf Jugendkultur abzielenden Aufmachung besonders perfide ist. Verglichen mit Großstädten oder dichter besiedelten Orten sind die Zahlen sehr gering, oft im einstelligen Bereich (vorausgesetzt, die Statistiken geben tatsächlich jedes Vergehen wider). Reflexartig wird von den zuständigen Behörden die Situation beschwichtigend dargestellt. Immerhin tummelt sich kein brauner Mob, der Ausländer durch die Straßen jagt. Dennoch: Die Gefahr ist da, die Verführung präsent.
Es ist leicht, Opfer auszumachen, um
sich selber größer zu fühlen. Und wo genügend Migranten fehlen, um seinen Frust
abzulassen, findet man andere, die nicht ins selbst gewählte Schema passen.
Behinderte, Obdachlose, Schwule: Für das dem persönlichen Geschmack genehmste Feindbild
wird schon das Passende dabei sein. Die Farbe der Schnürsenkel ist da das
geringste Problem.