von Tanja A. Wilken
Vorbei die Zeiten, in denen sich darüber Europa einig war, wie man sich der Flüchtlinge Nordafrikas erwehrt. 2005 freuten sich die europäischen Innenminister noch, dass man Libyen als EU-Vorposten gewinnen konnte. Für Waffen, allerhand technisches und militärisches Gerät und vor allem für viel viel Geld, erklärte sich der geläuterte und überhaupt nicht mehr böse Muammar al-Gaddafi bereit, Menschen auf der Flucht vor Verfolgung, bewaffneten Konflikten und Hunger abzufangen. Die EU-Kommission wurde nicht müde, den Kritikern (hauptsächlich ewig quer schießenden Menschenrechtsorganisationen) die hehren humanitären Motive dieser Partnerschaft näher zu bringen: die armen Menschen sollten schließlich vor dem Ertrinken bewahrt und vor halsabschneiderischen Menschenhändlern geschützt werden. „Europa zeigt Solidarität mit den Verzweifelten!“, so der Tenor. Oder anders formuliert: „Lieber ein paar Millionen in die Abwehr vor Ort investiert, als sich mit den Kosten für die Rückflüge vom europäischen Eiland herumplagen!“.
Gut sechs Jahre später ist al-Gaddafi zu sehr damit beschäftigt, mit gekauften Söldnern und Geschenken der EU die eigene Bevölkerung zu bombardieren. Keine Zeit mehr also, um Illegale abzufangen. Er ließ es sich aber nicht nehmen, die hämische Drohung gen Europas Führung zu senden, nun werde man mit Flüchtlingen überschwemmt. Ausgerechnet ein irrer Diktator stellt Notleidende als Terroristen dar. Und Europas Reaktion? Die Innenminister bezeichnen sich in den Plenarien gegenseitig als untätige Ignoranten oder überforderte Jammerlappen. „Die Flüchtlinge sind ein italienisches Problem!“ – „Nein, ein europäisches!“ – „Nein!“ – „Doch!“ Aufgeführt wird eine europäische Tragikomödie.
Seit Januar sind um die 26 000, überwiegend tunesische, Flüchtlinge auf Lampedusa eingetroffen. Sie bezahlen Schleppern eine Menge Geld, um zusammengepfercht auf unsicheren Nussschalen ins vermeintlich gelobte Land zu kommen. Sie verlassen ihre Heimat und ihre Familien, weil in ihrem Land nichts mehr geht. Die Wirtschaft ist komplett zusammengebrochen. Viele Gastarbeiter sind aufgrund des Bürgerkriegs aus Libyen zurückgekehrt. Es gibt keine Arbeit für alle. Vor allem junge Männer machen sich auf den Weg, um zumindest kurzfristig Beschäftigung in Europa zu finden. Sie kehren nicht ihrem Land den Rücken, um sich vor dem Wiederaufbau zu drücken (wie manche deutsche Politiker und Bestsellerautoren unterstellen), sondern weil sie ihrer Familie nicht auf der Tasche liegen wollen. Das entspricht kaum dem Bild des arbeitsunwilligen Schmarotzers, das nun von Berlin, Paris und Rom bis nach Brüssel gemalt wird. Man wird es nicht leid zu betonen, dass es sich um „illegale Wirtschaftsflüchtlinge“ und nicht um politisch Verfolgte handelt, die das Recht auf Asyl haben.
Das Problem liegt aber nicht in der Differenz zwischen „guten/legalen“ und „schlechten/illegalen“ Einwanderern, sondern in der europäischen Einwanderungspolitik per se. Sie ist, so wie die „Vorposten“ zur Grenzkontrolle in Libyen eine Methode des Ignorierens und Umschichtens des Problems. Erst versuchte man, die Flüchtenden am ausgestreckten Arm von sich fernzuhalten, jetzt beginnt das Lamentieren über Zuständigkeiten, die aber, „bitte schön, nicht unsere sind!“ Warum nicht? Mit Verordnungen wie Dublin II und der Drittstaatenregel haben Länder wie Deutschland und Frankreich die Verantwortung an die Randstaaten Europas abgewälzt. Praktischerweise haben Flüchtlinge kein Geld für Flugtickets und Italien und Spanien sind näher an den Ausgangsländern. Voila! Die Boat People stranden auf einer 4500 Einwohner starken Mittelmeerinsel. Die ganze Asyl- und Flüchtlingsmisere ist die praktische Anschauung der Redensart „Wer am längeren Hebel sitzt“: die Hauptlastenträger sind die kleineren, wirtschaftlich und außenpolitisch unbedeutenden Staaten, die sich zudem auch noch in größerer finanzieller Abhängigkeit zum Mutterschiff Europäische Union befinden.
Die Europa-Lösung „Abschottung“ ist, sollte sie das überhaupt je gewesen sein, kein Konzept mehr, das zukunftstauglich ist. Angesichts der demographischen Entwicklung, des steigenden Fachkräftemangels und der stetigen Abwanderung aus unserem Land, bräuchten wir dringend Instrumente für eine zielgerichtete und gesteuerte Einwanderungspolitik. Stattdessen kommen aus den heimischen politischen Lagern Geistesblitze, wie die Grenzen Bayerns verstärkt zu kontrollieren oder auch die deutsche Marine aufzustocken, um die Grenzen im Süden „zu schützen“. Was sollen die deutschen Soldaten tun? Mit Kanonen auf Ertrinkende schießen? All diese Debatten um Sicherheit, Aufnahmekapazitäten und Verantwortlichkeiten blenden das Wesentliche aus: da draußen überqueren Menschen das Meer, die selbständig für ihre Rechte, für Freiheit und Menschenwürde kämpften. Was ist nun unsere „europäische Solidarität“? Despoten Geld in den Rachen schmeißen oder wirtschaftliche Aufbauprogramme fördern? Mittel für Grenzposten aufstocken oder für menschenwürdige Unterbringungen sorgen?
Objektiv betrachtet ist die Einwanderungspolitik tatsächlich ein gesamteuropäisches Anliegen. Aber das Geschrei ist groß. Rings um uns haben die Rechtspopulisten einen Lauf. Mit dem Droh-Bild vom habgierigen Fremden lassen sich Wähler fangen. Und außerdem war das ja nicht unsere Revolution! Warum nicht die Grenzen dicht machen? Warum dieses ewige Gerede um Menschenrechte, wo sich doch eh jeder selbst der nächste ist? Schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe, indem wir weiter eine Handelspolitik betreiben, die uns fetter und reicher macht und bekämpfen wir so zugleich die steigende Überbevölkerung durch Ausbeutung und Aushungern! Und wenn die Menschen sich dann erdreisten, sich auf den Weg zu uns zu machen, rüsten wir unsere Truppen auf und überlassen dem bayrischen Innenministerium die Kontrolle unserer Grenzen. Ein traumhaft utopisches Europa!
Die Europa-Lösung „Abschottung“ ist, sollte sie das überhaupt je gewesen sein, kein Konzept mehr, das zukunftstauglich ist. Angesichts der demographischen Entwicklung, des steigenden Fachkräftemangels und der stetigen Abwanderung aus unserem Land, bräuchten wir dringend Instrumente für eine zielgerichtete und gesteuerte Einwanderungspolitik. Stattdessen kommen aus den heimischen politischen Lagern Geistesblitze, wie die Grenzen Bayerns verstärkt zu kontrollieren oder auch die deutsche Marine aufzustocken, um die Grenzen im Süden „zu schützen“. Was sollen die deutschen Soldaten tun? Mit Kanonen auf Ertrinkende schießen? All diese Debatten um Sicherheit, Aufnahmekapazitäten und Verantwortlichkeiten blenden das Wesentliche aus: da draußen überqueren Menschen das Meer, die selbständig für ihre Rechte, für Freiheit und Menschenwürde kämpften. Was ist nun unsere „europäische Solidarität“? Despoten Geld in den Rachen schmeißen oder wirtschaftliche Aufbauprogramme fördern? Mittel für Grenzposten aufstocken oder für menschenwürdige Unterbringungen sorgen?
Objektiv betrachtet ist die Einwanderungspolitik tatsächlich ein gesamteuropäisches Anliegen. Aber das Geschrei ist groß. Rings um uns haben die Rechtspopulisten einen Lauf. Mit dem Droh-Bild vom habgierigen Fremden lassen sich Wähler fangen. Und außerdem war das ja nicht unsere Revolution! Warum nicht die Grenzen dicht machen? Warum dieses ewige Gerede um Menschenrechte, wo sich doch eh jeder selbst der nächste ist? Schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe, indem wir weiter eine Handelspolitik betreiben, die uns fetter und reicher macht und bekämpfen wir so zugleich die steigende Überbevölkerung durch Ausbeutung und Aushungern! Und wenn die Menschen sich dann erdreisten, sich auf den Weg zu uns zu machen, rüsten wir unsere Truppen auf und überlassen dem bayrischen Innenministerium die Kontrolle unserer Grenzen. Ein traumhaft utopisches Europa!