Mittwoch, 11. Mai 2011

Kopfschuss im Namen der Gerechtigkeit...

von Tanja A. Wilken

„Der Gerechtigkeit wurde Genüge getan“, sagte Barack Obama über die Tötung Osama Bin Ladens durch ein US-Spezialkommando am 2.Mai 2011. Israel gratulierte zu einem „historischen Tag“ und das amerikanische Volk spricht über „eine böse Kraft, die endlich weg ist“ und äußert die Hoffnung, ihr Staatsfeind Nr.1 möge nun „in der Hölle schmoren!“ Herrje, da ist sie wieder: die religiöse Phrasendrescherei, mit der schon G.W. Bush seinen Kreuzzug gegen die „Achse des Bösen“ eröffnete. Aber bleiben wir bei der „Gerechtigkeit“, die es ja nun einmal nicht nur im biblisch-alttestamentarischen, sondern auch im rechtsstaatlichen Sinne gibt. Darf ein Rechtsstaat gezielt töten?

Leider ist diese Frage nicht einfach zu beantworten. Das Völkerrecht gibt keine klare Antwort, eher läuft sie einer seit Jahrzehnten gängigen Praxis international operierender Staaten hinterher: das „targeted killing“ ist rechtlich und ethisch umstritten, aber geduldet. Ob es sich mit dem Völkerrecht deckt, hängt im Wesentlichen von zwei Faktoren ab: Zum einen geht es darum, ob die Tötung auf eigenem oder fremden Boden geschieht und ob im Fall eines Eingriffs in einem anderen Land dessen staatliche Souveränität gewahrt wird. Pakistan schweigt bisher beharrlich dazu. Es ist allerdings sehr unwahrscheinlich, dass die Amerikaner ohne Wissen und eventuell auch Mithilfe des gut arbeitenden pakistanischen Geheimdienstes die Mission durchführten. Pakistans bisherige Beteuerungen, völlig ahnungslos gewesen zu sein, dürften eher dem Schutz vor eventuellen Repressalien dienen als der Wahrheit entsprechen. 

Der zweite Punkt betrifft die Zielperson selbst. Laut dem wenig konkret formulierten Kriegsvölkerrecht ist die Tötung eines Anführers oder Teilnehmers eines bewaffneten internationalen Konflikts zulässig. Immer vorausgesetzt, der Betroffene ist nachweislich an diesen Feindseligkeiten beteiligt. Nun meinen einige, Bin Laden habe nicht gekämpft, jedenfalls nicht zum Zeitpunkt seines Todes. Dann muss man allerdings fragen, ob jemand, der Befehle zur Ausübung von Terroranschlägen gibt, als Zivilist völkerrechtlich nicht belangt werden kann. Anders formuliert: Wird ein sich klar bekennender Terrorist und Anstifter zum Mord an Unschuldigen während der Nachtruhe oder Mittagspause zum Zivilisten, den man nicht ausschalten darf? 2009 gab ein Internationales Komitee des Roten Kreuzes ein Gutachten heraus, das diese Frage damit beantwortete, dass sich Personen wie Bin Laden durchaus zu legitimen militärischen Zielen machen – im Gegensatz beispielsweise zu bloßen Mitläufern. Bin Laden machte keine Pause vom Terroristen-Dasein. Und auch eine strafrechtlich relevante Unschuldsvermutung dürfte in seinem Fall kaum gegeben gewesen sein.

Wenn es sich auch nun nicht eindeutig klären lässt, ob die Amerikaner völkerrechtskonform oder nicht agiert haben, so steht die Frage, ob es sich bei der Aktion um eine angemessene, einem Rechtsstaat würdige Reaktion handelte, auf einem anderen Blatt. Demnach hätte man Bin Laden festnehmen und dem Internationalen Gerichtshof überantworten müssen. Aber hätten die Amerikaner ihren erklärten größten Feind tatsächlich einem Gericht (noch dazu einem nicht-amerikanischen!) übergeben und damit den Dingen ihren Lauf gelassen? Bin Laden war nicht Milošević – ein Blick in die Medien genügt, um zu sehen: dies war nach amerikanischem Selbstverständnis eine nationale Angelegenheit – „etwas Persönliches“. Kein Gerichtsverfahren der Welt hätte dem Genüge getan. Und so landet man wieder bei dem alten Rachebegriff des „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, und einer Dimension der Begriffe „Recht“ und „Gerechtigkeit“, die über die völkerrechtliche hinausreicht. Nach Bushs Aufruf zum „war on terror“ pervertierten die eingesetzten Mittel des Antiterrorkampfes den Gerechtigkeitsanspruch. Recht wurde zur Vergeltung. Westliche Ethik verkam durch Foltermethoden wie das Waterboarding, durch die Verschleppung Terrorverdächtiger, Inhaftierung ohne Haftprüfung und Guantanamo zur Demagogie. Diese „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ wurden nicht von einem Tyrannenstaat, sondern von einem demokratischen, sich als hoch zivilisiert betrachtenden Staat verübt. Damit wir uns nicht missverstehen: eine Demokratie muss sich ihrer Feinde erwehren dürfen. 

Bin Laden tötete ohne Skrupel Tausende „Ungläubige“ und opferte seine eigenen Religionsbrüder für den „Heiligen Krieg“. Al-Qaidas Terrorismus zielt auf die Beseitigung von Menschen, deren nationale, religiöse und kulturelle Existenz grundsätzlich abgewertet und abgelehnt wird. „In Ruhe über alles zu reden“ ist ein frommer Wunsch, der die Kluft zwischen diesen Fronten – westlicher Welt und fundamentalistischer Ideologie – nicht überbrücken wird. Wir wollen unsere Freiheit und Sicherheit verteidigen. Das ist unser Recht. Aber es sind gleichwohl die Regeln, die wir uns selbst auferlegen, die unsere Mittel hierzu letztlich gerechtfertigt erscheinen lassen. Gibt sich eine Nation selbst das Etikett des Rechts und der Moral, entscheiden die Taten über den Wert der Worte. Mehr noch: sie entscheiden über den Wert unserer Werte. Auch bei deren Verteidigung sollten wir uns dessen bewusst sein, damit wir weder unseren rechtlichen noch unseren moralischen Anspruch verlieren.

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