Dienstag, 21. Juni 2011

Von Bildern und Quoten...

von Tanja A. Wiken

Wie hätten wir ihn denn gern, den guten Migranten? Nett soll er sein. Verfassungskonform und patriotisch. Assimiliert mit der deutschen Kultur. Gewandt in der Sprache. Und bitte, bescheiden im Hintergrund. Aber nicht lauernd! Parallelgesellschaften und Ghettoisierungen sind schlecht – was nicht heißt, dass er eine Gartenlaube in direkter Nachbarschaft zu Meier und Schmidt haben muss. Überhaupt, Cliquenbildung sehen wir nicht gern – das wirkt so verschwörerisch. Am liebsten ist uns der Ausländer oder Migrant, den wir nicht wahrnehmen, von dessen Anwesenheit, religiösen und kulturellen Eigenarten wir nichts mitbekommen. Sein Essen nehmen wir gern, seine Moscheen kann er behalten. Sozialschmarotzer soll er nicht sein – die Arbeit aber den Deutschen lassen. Ausgenommen natürlich die Tätigkeiten, die wir selbst nicht machen wollen: Müll entsorgen, Toiletten in Fastfood-Restaurants schrubben, mit gebücktem Kreuz den lieben langen Tag Spargel stechen usw.
Der gute Migrant ist nach Möglichkeit bitte nicht osteuropäisch: die sehen schon so verschlagen aus. Die Russen sind mafiös und die Türken prügeln und vermehren sich zuviel. Wie der schlechte Migrant aussieht, was er so treibt, wissen wir ganz genau: Dieses Bild hat sich durch jahrzehntelange Alltagserfahrung (z.B. im Berliner „Sarrazin-Land“) und durch objektive Berichterstattung geprägt: „Prügel-Türken“, „Rote Rüpel“ & „Gyros-Bomber“ (kleine Auswahl aus dem BILD-Wörterbuch).
Lieb ist uns der Ausländer, der im Deutschland-Trikot Tore schießt. Der, über den wir lachen können – weil er als Comedian über seine Leute herzieht (den feinen Spott am Deutschtum können wir dabei gönnerhaft übersehen). Und der, der seine Herkunft verleugnet. Naja, ansehen tun wir`s ihm natürlich trotzdem. Ist schon vergebliche Liebesmüh. Aber den unbedingten Willen zum Abstreifen alles Griechischen, Türkischen, Serbischen wollen wir schon. Sonst hat das ja nichts mit Integration zu tun.
Erfreuen können wir uns auch am Vorzeige-Migranten. Dem mit Hochschulabschluss, Job in der Forschung, mit Parteibuch (vorzugsweise SPD oder CDU). Jemand der suggeriert: „Ich bin Keiner mit kulturzersetzendem Auftrag!“ So einen kann man gebrauchen für Werbetafeln und Commercials (dafür nimmt man aber auch gerne ukrainische Boxer), als Gegenbeispiel für den U-Bahn-Schläger / Integrationsverweigerer. Und zur Imageverbesserung einer Partei.
Und wenn man bisher versäumt hat, den Vorzeige-Migranten in die Parteiführung durchzulassen, dann muss halt eine Quote her. Die SPD hatten diesen grandiosen Vorschlag jüngst zur Disposition gestellt. Wenn selbst Grüne, FDP und die CDU Migranten auf bedeutende Posten setzen, kommt die ursoziale Partei in Zugzwang, dachte sich Gabriel, kam aber nicht so recht an bei den anderen Genossen. Es ist ja auch so: Es gibt wohl kaum ein unbeliebteres Instrument in Wirtschaft und Politik als die Quotenregelung. Dabei will man damit – vordergründig – ja nur Gutes: ein Ungleichgewicht beheben, diskriminierte Gruppen stärken, also Frauen, Behinderte und nun Migranten. Dummerweise haftet der Quotenanstellung etwas pauschal Verurteilendes an: Man stellt ein, weil einem noch der politisch korrekte Rollstuhlfahrer fehlt, weil die durchgängig männliche Führungsriege im DAX- Unternehmen so wenig weltmännisch wirkt und weil man, z.B. den Parteiausschluss gegen einen Verbreiter irrlichternder Genetik und Abtrünnigen ureigener sozialdemokratischer Grundsätze („Herkunft ist kein Schicksal!“) vergeigt hat und einem die ganzen Migranten (dummerweise eine Hauptklientel) aus der Partei davonlaufen.
Man könnte aber auch argumentieren, dass Quoten Missstände nicht beheben, sondern Vorurteile noch schüren: Wer nach Quote eingestellt wird, wird nicht zuvorderst aufgrund seiner Qualifikation eingestellt. Sagt man. Stimmt vielleicht nicht unbedingt, aber manche Klischees halten sich hartnäckig.
Zudem birgt es das Problem der Klassifikation. Was bei der Frauenquote relativ einfach ist (man kann sie ja ganz gut erkennen), gestaltet sich schwierig bei der Migrantenquote: Um als leuchtendes Beispiel des guten Migranten in die Parteigremien einziehen zu können, muss erst mal geregelt sein, wie viel Quantum am Migrant-Sein erfüllt werden muss. „Wie viel Prozent Ausländer und wie viel Prozent Deutscher hätten Sie denn gern?“ Die Quote, die eigentlich eine Stärkung sein soll, wird zum Ausmusterungs-Werkzeug.
Ein bisschen ist es auch so, dass in der Forderung nach einer Quotenregelung das Eingestehen des eigenen Versagens mitschwingt. Ein gutes halbes Jahrhundert nach dem Eintreffen der ersten Gastarbeiter haben wir immer noch ein sehr „bescheidenes“ Bild vom Migranten. Besser sicherlich als zu anderen Zeiten. Aber wir unterteilen, klassifizieren, etikettieren: die Guten gegen die Bösen. Nette, aber faule (zumindest verschwenderische) Südländer und böse, kriminelle Osteuropäer.
Diskriminierungen gab es zu allen Zeiten. Frauen, Schwule, Schwarze... Es ist eine endlose Liste. In den allermeisten Fällen änderte sich das Bild der „schwachen Frau“, des „unterprivilegierten Schwarzen“, des „perversen Schwulen“ nur durch einen zähen, langwierigen Kampf, durch eine beschwerliche – aber durch den Lauf der Zeit (und mittels Gesetze) gestützte – Emanzipation. Auch wenn viele Vorurteile weiterhin nicht auf taube Ohren stoßen – die Bilder ändern sich, allen Quäkern und Philistern zum Trotz.
Wäre ja auch dumm, bliebe an uns ewig das Bild des besserwisserischen, nörgelnden, latent xenophoben Deutschen kleben, der seinen Spargel nicht selber stechen will und den armen Griechen androht, ihnen ihre Akropolis im Ramschverkauf zu entreißen.

Montag, 6. Juni 2011

Vom Drang die Welt zu retten...

von Tanja A. Wilken

Vor 50 Jahren hatte ein guter Mensch eine gute Idee: 1960 erregte die Verhaftung zweier portugiesischer Studenten die Aufmerksamkeit des britischen Anwalts Peter Benenson. Spontan hatten sie sich mit dem Trinkspruch, „Auf die Freiheit!“ zugeprostet. Dummerweise wurde dies unter der damaligen Salazar-Diktatur nicht gern gehört und die beiden wurden kurzerhand eingesperrt. Die Empörung über diese Willkür veranlasste Benenson zu handeln: Er und einige Gleichgesinnte schrieben Briefe an die portugiesische Regierung mit der Bitte um Freilassung der Studenten. Man könnte das für ziemlich naiv, vielleicht sogar lächerlich, halten: Briefe schreiben gegen die Freiheitsberaubung in einer Diktatur! Tatsächlich verbuchten Benenson und seine Mitstreiter aber einen Erfolg – die Gefangenen wurden freigelassen. Kurze Zeit später veröffentlichte Benenson in der britischen Tageszeitung The Observer den Artikel “The Forgotten Prisoner“, in dem er die Idee einer Organisation darlegte, die sich dem Kampf für die Menschenrechte politisch Gefangener verschreibt. Die Ziele fasste er am Ende zusammen: unparteiisches Eintreten für die Freilassung von Menschen, die aufgrund ihrer Meinungsäußerung eingesperrt wurden oder zumindest das Erreichen eines fairen, öffentlichen Verfahrens; die Ausdehnung des Asylrechts und die Unterstützung politischer Flüchtlinge bei der Arbeitsaufnahme und schließlich, den großen internationalen Staats- und Verwaltungsapparaten bei der Wahrung des Rechts auf freie Meinungsäußerung auf die Finger schauen. Allen Unkenrufen zum Trotz, die die idealistischen Aktionen Einzelner belächeln und meinen, man könne die Welt so nicht ändern und seine Zeit besser nutzen, blieb Benenson kein Träumer, der allein im stillen Kämmerlein über den Zeitungen brütet: aus der urgent action, dem Schreiben von Protestbriefen, entwickelte sich innerhalb kürzester Zeit die international agierende Organisation Amnesty International, die mittlerweile an die drei Millionen Mitglieder umfasst.

An dieser Entstehungsgeschichte zeigt sich, dass Empörung ein wichtiger Schlüssel, ein Katalysator für etwas Großes sein kann.

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ So steht es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948, zu denen sich die Mitglieder der Vereinten Nationen bekannten. Aber noch im 21.Jahrhundert sind viele Menschen durch ihren Geburtsort, durch ihren religiösen und kulturellen Hintergrund, aufgrund ihrer Hautfarbe und ihres Geschlechts – kurzum: durch puren Zufall – gleicher als andere. Es ist wichtig, dass sich unter uns Querulanten und Optimisten finden, die sich daran stören, dass in dieser großen weiten Welt verdammt viel Mist passiert und viele Menschen oft Schicksale erleiden müssen, für die nicht sie selbst, sondern die Mächtigen um sie herum die Verantwortung tragen.

Es gibt mittlerweile immer mehr Menschenrechts- und Hilfsorganisationen – wenn man so will, „Berufs-Empörer“, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, diesen Missständen offen entgegenzutreten. Sie kämpfen, mit teils unterschiedlichen Schwerpunkten, um das gleiche Ziel. Und in einer Zeit medialer Reizüberflutung, in der eine Katastrophe nach der anderen verhandelt wird und somit die „Katastrophe“ als solche beinahe inflationären Charakter hat, müssen die verschiedenen Organisationen auch um Aufmerksamkeit für die eigene Arbeit buhlen, und um Mitglieder, ehrenamtliche Helfer und Spendengelder. Es scheint, dass auch die zahlreichen Weltverbesserungs-AGs in einen Wettstreit miteinander geraten sind. Da ist die Außenwirkung wichtig, das Marketing und das Profil. Auch Amnesty International machte mit und begann ab 2001 sein Grundsatzprogramm zu ändern. Jahrzehntelang waren es vornehmlich die anonymen politischen Gefangenen, denen man eine Stimme geben wollte. Die Organisation betonte von Anfang an, sich von Ideologien und von politischer Einflussnahme fernhalten zu wollen. Vor zehn Jahren aber beschloss man, sich auch wirtschaftlichen und sozialen Rechten und ihrer Durchsetzung zu widmen. Wirtschaft und Politik sind aber per se miteinander verwobene Minenfelder, auf denen hehre Ansprüche und der Wunsch nach Unabhängigkeit einem leicht um die Ohren fliegen können. Ohne Zugeständnisse keine Weltrettung.

Es mag sein, dass man Rechte nicht hierarchisieren kann, wie Irene Khan (bis 2009 die Frau an der Spitze von Amnesty International) einmal sagte, um die Programmänderung zu erklären. Gehört nicht auch das Recht auf sauberes Wasser, Bildung und Wohnung zum Menschsein? Das Problem ist nur, wann wird es zu viel? Wann torpediert man eine gute Idee mit zu vielen Erwartungen? Wann verliert man durch Dauerpräsenz auf allen Gebieten sein Gehör bei denen, mit denen man verhandeln will? Und bei denen, die einen unterstützen sollen, sich aber bei dem Übereifer verwundert nach den Grundsätzen umschauen? Wann bewirkt man vor lauter gutem Willen letztlich gar nichts mehr?

Wer zu viel will, verheddert sich auf den vielen Baustellen dieser Welt. Niemand kann an allen Fronten kämpfen, sämtliche Waisenkinder aus Kambodscha adoptieren, Trinkwasserbrunnen betreiben, die wirtschaftliche Ausbeutung ärmerer Länder stoppen und zugleich den heimischen Wohlstand fördern, damit allen Flüchtlingen Nordafrikas ein lauschiges Plätzchen im hauseigenen Garten zum campieren geboten werden kann.
Unser Blick ist begrenzt, die Möglichkeiten auch. Ein guter Mensch ist auch schon der, der seinen Blick und seinen Verstand offen hält und der spontan in einer bestimmten Situation das Notwendige tut. Dafür reicht schon Empathie mit einem guten Schuss Empörung.