Mittwoch, 16. März 2011

Von Tanja A. Wilken: Das Kreuz mit der Moral…


Ein Blog von Tanja A. Wilken

Vor noch nicht allzu langer Zeit machte die westliche Welt nur zu gern Geschäfte mit arabischen Diktatoren. Tunesiens Ben Ali etwa galt als verlässlicher Partner beim Kampf gegen das „terroristische“ Schreckgespenst. Der Zyniker möchte bemerken, dass man bei der Partnerschaft im „Kampf gegen den Terror“ den Terror gegenüber dem tunesischen Volk in Kauf nahm. Ali unterdrückte in seinem Land die muslimische Opposition. Und da in einer verqueren westlichen Logik undifferenziert alles „Muslimische“ nach dem 11. September 2001 als zumindest suspekt gilt, war damit dem „Gewissen“ Genüge getan. Aber wie es sich mit Despoten und Diktatoren nun einmal seit jeher verhält: vermeintliche politische und wirtschaftliche Stabilität hat einen hohen Preis. Beispielsweise politische Gefangennahme, Willkür, Zensur, Unterdrückung, Folter und dergleichen mehr sind Dinge, die sich weder mit demokratischen noch humanistischen Idealen vereinbaren lassen.

Moral ist ein bequemes Polster. Auf der sicheren Seite wissend, zeigte man von Zeit zu Zeit mit dem tugendbewehrten Zeigefinger – und schickte weiter Milliarden in Länder, in denen die eigene Bevölkerung sich an den Krümeln laben durfte, die die Herrscher und Führungsriegen übrig ließen.
Als sich das arabische Volk erhob und auf die Straßen wagte, um für sich endlich die Freiheiten und Grundsätze einzufordern, die für uns so selbstverständlich sind, reagierte unsere politische Klasse erst einmal gar nicht. Beinahe verschreckt, so schien es, beobachteten sie die revolutionären Demonstrationen. Während sich die Menschen in Tunesien und Ägypten selbst befreiten, reagierte Europa eher vorsichtig. Wenig Aufmunterung und moralische Unterstützung war anfangs zu hören, eher abwägendes Lamentieren und Beschwichtigen. „Warnen müsse man.“ –„Ach ja?“ –„Natürlich! Vor Chaos und dem Aufmarsch der Islamisten!“ Sicher…
Wovor sich manche tatsächlich fürchteten, das war wohl vor allem der Zusammenbruch der „alten Geschäftsgrundlage“. Es war bequem, sich auf die durch Geld und Waffen gekaufte Stabilität verlassen zu können. Bemerkenswerterweise diskutierten wir dann nicht über mögliche Hilfen beim Aufbau einer demokratischen Gesellschaft, über Unterstützung bei Wahlen, sondern über steigende Ölpreise und mögliche Versorgungsengpässe und über natürlich der Deutschen liebste Furcht, die hereinbrechenden „Flüchtlingsströme“. Was mich zu der Frage bringt, welche auf Vernunft (denn die gehört seit Kant zur Basis allen ethischen Handelns) basierenden Überlegungen die EU-Staaten überhaupt dazu brachte, mit einem Gewaltherrscher wie Muammar al-Gaddafi ein Abkommen zur Flüchtlingsabwehr auszuhandeln?! Wo waren da unsere moralischen Bedenken? Wo waren da die die Ideale von Freiheit, Gerechtigkeit, Toleranz und Mitgefühl, welche die aufgeklärten Menschen der westlichen Demokratien so gern vor der stolz geschwellten Brust tragen?

Angenehm ist es, am moralisch längeren Hebel zu sitzen, auf „die da“ zu zeigen und seine eigene Rolle in dieser Geschichte geflissentlich zu übersehen. Dass die arabische Welt nach dem Zusammenbruch des Osmanischen Reichs die Fortsetzung der Ausbeutung, Teilung, ethnischen und religiösen Zerrissenheit vor allem den europäischen Kolonialherren und später den von diesen eingesetzten Despoten zu verdanken hat, ist historisches Allgemeingut. Knüppel und Gewehre, Angst und Terror mögen die Menschen lange Zeit stillhalten lassen, Zensur und Propaganda die Meinungen und das Weltbild formen und sabotieren. Aber früher oder später erhebt sich das Volk gegen diese Fesseln.

Und wie stehen wir jetzt da? Die vermeintlichen Torwächter der Demokratie und Menschenrechte? Haben wir nicht womöglich doch eine moralische Bringschuld? Jahrzehntelang lebte es sich für uns bequem auf dem Rücken der Unterdrückten. Wir wissen nicht, was die Zukunft bringt. Aber die Chancen stehen gut, dass wir einmal auf Augenhöhe mit freien Menschen der arabischen Welt an einem Tisch sitzen. Und dass sie unsere moralischen Ansprüche, mit denen wir so gern in unserer eigenen Gesellschaft hantieren, an uns selbst anlegen.


Kurzprofil Tanja A. Wilken:





Geboren und aufgewachsen bin ich nahe der ostfriesischen Küste. Auf`s Meer zu schauen, reichte mir nicht, um meinen Horizont zu erweitern. Also brach ich auf und studierte Philosophie und Germanistik und trieb mich einige Zeit auch am Theater herum. Der Elfenbeinturm der Wissenschaft war mir zu eng und die Theaterwelt zu selbstzentriert und so wurde ich schließlich auf den Markt der freien Schreiber gespült – was mir um so lieber ist, da denken, leben und arbeiten in festgefahrenen Spuren nicht zu meinen Stärken gehört.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Lieber migmag-Leser,

vielen Dank für Ihre Kommentarabgabe. Nach Prüfung Ihres Artikels durch die migmag-Redaktion werden Sie bei Freischaltung Ihres Artikels per E-Mail benachrichtigt.