Samstag, 5. März 2011

Gaddafi und ein Schaf

Es ist wieder Freitag. Ein guter Tag, sich mit Herrn K. zu treffen. Wir wollen über die Ereignisse in der arabischen Welt sprechen.

Herr K. steht vor der Kaffeebar, eine Zigarette zum Espresso.
"Ich bin Gelegenheitsraucher", erklärt er sich.
Ich bin verspätet. Er gibt mir seine Letzte.
"Ich auch", sage ich und möchte ihn sofort nach seiner Einschätzung zu Libyen fragen.
Er ist still, spricht leise. Seine Worte sind heute schwer zu verstehen.  Herr K. wirkt traurig.

Wir sprechen von Gaddafi, seinen irren Verschwörungstheorien, bezahlten Söldnern,  vielen Toten – und den kämpfenden Libyern.
"Es ist erst der Anfang", sagt Herr K, "Gaddafi ist verrückt."
Die Aufstände in Tunesien und Ägypten, mit denen niemand gerechnet habe, würden noch weitere Regime in Nahen Osten ergreifen.  Man müsse bedenken, dass alles noch sehr frisch sei. Wenige Wochen seien erst seit der Flucht von Ben Ali und Mubarak vergangen.
"Bedenken Sie auch, dass das arabische Volk sehr lange Zeit unterdrückt war. Es hatte sich so lange den Herrschern gefügt." Generationen ohne Gegenwehr.  Arabien war ein vergessener Teil der Welt.
"Und wir Araber hatten uns auch vergessen", sagt Herr K. und wirkt nicht glücklicher.

Mit einem Mal ändert sich seine Stimme.
"Aber dann kam die Revolution, mit der niemand gerechnet hat. " Diese habe auch in Deutschland Veränderungen bewirkt.
Herr K. erzählt von der Arabischen Liga in dieser Stadt. Es sind Freunde verschiedener Nationalitäten. Sie treffen sich regelmäßig. Manchmal spielen sie Billard.
"Wir ordnen uns in der Liga nicht einem einzelnen Land zu. Wir fühlen uns als Araber, die eines verbindet: unsere Sprache."

Er erzählt weiter, dass sie bei ihren Treffen, natürlich, über Deutschland sprechen. Darüber, was man hier alles geschaffen habe, wie geordnet das Land funktioniere. Die Industrie, die Ordnung, die Freiheit und eine friedliche Wiedervereinigung.  Dafür würden sie Deutschland aufrichtig bewundern.
"Und wir? Wir haben von all dem nichts."
Einspruch.
Er lächelt.
"Stimmt. Jetzt haben wir die Revolution. Und sie hat uns, uns unsere Würde zurückgegeben."
Nach diesem Gefühl hätten die Menschen im Nahen Osten gedürstet. Sie hätten sich nicht mehr unterdrücken lassen und von einem besseren Leben nur träumen wollen. Die Menschen mussten aufstehen, sich wehren. Endlich.
"Seit der Revolution wird uns wieder mit Respekt begegnet", sagt Herr K., der in Syrien geboren wurde und erzählt zum Schluss diese kleine Geschichte:

Vor wenigen Tagen ist er in der Stadt zufällig einem Bekannten aus der Türkei begegnet. Dieser habe ihn gefragt, ob er in nächster Zeit nach Kairo reisen werde. Bestimmt, habe Herr K. geantwortet. Der Bekannte, der eine sehr gute Position in einem Unternehmen am Ort besitzt, habe aus seinem Portemonnaie 150 Euro genommen.
"Kaufe dafür ein Schaf."
 "Ein Schaf?"
"Ja, ein Schaf", erwiderte der Bekannte, "dann lass es schlachten und verteile es an die Armen. Gib ihnen auch das restliche Geld"

Herr K. spricht lauter: "Verstehen Sie nun, wie die Revolution uns vereint hat?"


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